7. November 2012

Kurdistan - "Zwischen Euphrat und Tigris"

24.787 km

Hi Folks!

Von dem sehr zwielichtigen Grenzübergang in Serou machen wir uns auf in die kurdischen Berge und nach nur 25 km passieren wir die erste Straßensperre, die vom türkischen Militär gehalten wird und mehrere bewaffnete Soldaten versammeln sich um unser Motorrad. Als einer meinen deutschen Reisepass erkennt, meint er "Ich bin in Heidelberg geboren" und haben ihn damit auf unserer Seite. Er weist uns an, die Straße nicht zu verlassen, dann sei alles in Ordnung. Erst gestern seien hier bei einer Auseinandersetzung zwischen Militär und PKK 7 Menschen getötet wurden. Alles Aussagen, die einem schnell klar machen nicht in einem Urlaubsgebiet zu sein, auf wundersame Weise dennoch keine wirklichen Angst-Gefühle bei mir auslösen...!?

Gegen Abend, wir stellen ernüchternd fest, dass wir es an diesem Tag nicht mehr bis nach Van schaffen werden, halten wir am Straßenrand an, um uns einen Salat zu machen. Zwei Männer, der nahegelegenen Baustelle entdecken uns und laden uns in ihre Unterkünfte ein, dort mit ihnen zu Essen.


Zuerst etwas skeptisch, folgen wir ihnen und erst einmal in der Feldküche können wir uns kaum wehren, so sehr werden wir mit Tee und Essen bombardiert.


Seti, der Koch serviert uns eine echt leckere Suppe und kocht - obwohl wir vergebens ablehnen - danach noch Spiegel-Eier für uns! 


und da es bald kalt werde schenkt er mir noch einen Schal! 

All die Arbeiter sind Kurden und versuchen uns im gebrochenen Englisch zu erklären, wie sie von der türkischen Regierung behandelt, nicht wirklich geduldet und unterdrückt werden. Sie erzählen uns, dass viele ihrer Kameraden, lediglich für die Tatsache sich als Kurde zu fühlen und dies auch öffentlich zu zeigen, im türkischen Gefängnis sitzen. Sie fühlen sich nicht als Türken, sondern als eigenes Volk, haben sogar eine eigene Sprache, die dem russischen näher ist, wie dem Türkischen, so dass Mila einiges hiervon versteht. Was ihre Rechte angehe, stehen sie denen der Türken, um einiges hinterher, erzählen sie...

Sehr interessant mal die andere Seite zu sehen und nicht nur die durch die Medien verbreitete Ansicht der "bösen Kurden"!

Da es schon spät ist und dunkel wird, bieten sie uns sogar Unterkunft an. Mustafa, er spricht gar kein Englisch, nimmt uns mit zu seiner Familie nach Hause, im nahe gelegenen Dorf. In aller einfachsten Verhältnissen lebt er mit seiner Frau und zwei Kindern, seinem Bruder inkl. Familie und den Eltern. Insgesamt 13 Menschen in einem einzigen Haus. 


mit jeder Menge Kindern :-)


Und auch hier bringen die netten Menschen uns einen Tee nach dem anderen, gefolgt von Süssigkeiten...


Die Mutter ist gerade am Stricken und schenkt Mila ganz spontan ein paar Socken! :-)


Wahnsinn, diese Frau hat 12 (!) Kinder zur Welt gebracht und groß gezogen!

Wir haben einen ganzen Raum für uns alleine für die Nacht. Es sei das Gästezimmer für Verwandte und Freunde, bie Familienfeiern und von daher sind sie gut ausgestattet, bei den riesigen Familien. Der Vater erzählt uns nebenbei, er habe ebenfalls 11 (!) weitere Geschwister! Mit unzähligen Decken ausgestattet schlafen wir sehr bequem. Allerdings geht es mir immer noch nicht gut und ich muss wieder 6 oder 7 Mal in der Nacht auf's Klo... :-/

Am nächsten Morgen bekommen wir sogar noch Frühstück und als Mustafa zur Arbeit abgeholt wird, machen wir noch schnell ein Abschiedsfoto und fahren dann alsbald auch weiter in Richtung Van.


Eine Tatsache, die mir auffällt, dass die Männer hier wesentlich älter aussehen, als wir erwarten. So Mustafa, den ich in die Mitte 30 geschätzt hätte und er erzählt mir, dass er sogar noch 3 Jahre jünger ist als ich!
Eine wahnsinnig tolle Erfahrung, die wir machen! Diese Menschen, die selbst ein karges Leben führen und so was von gastfreundlich sind, wie ich es noch nie zuvor erlebt habe....

Kurz vor Van biege ich spontan ins Gelände ab, da der nahe gelegene Berg eine 1A Aussicht auf den Van-See vermuten lässt. Allerdings ändere ich meinen Kurs um 180°, als plötzlich ein Militär-Hubschrauber vor mir auftaucht, sammele Mila schnell wieder ein, die nach ein paar hundert Metern schon genug vom "offroad" hatte und erinnere mich an die mahnenden Worte des türkischen Soldaten aus Heidelberg, die Straße doch besser nicht zu verlassen... :-/


Ein einziges Foto auf halber Strecke...


In Van und Umgebung, war im Oktober 2010 ein schweres Erdbeben mit einer Stärke von 7,2. Es sind immer noch sehr viele Gebäude zerstört oder im Wiederaufbau. In der ganzen Stadt sind Wohn-Container zu sehen, die Großteils noch genutzt werden. So bietet uns Cingis, ein Lehrer den wir in der Stadt kennen lernen, eine Unterkunft für mehrere Tage in einem ungenutzten Container auf seinem Schul-Gelände an. Dies lehnen wir nicht ab, da mir immer noch nicht sehr viel besser ist und ich mich erneut einige Tage vom Fahren ausruhen will. 

Bereits bei unserer Ankunft lernen wir zusätzlich Mehmet kennen, der ebenfalls Lehrer ist und dies für Russisch und Englisch. Von daher verstehen er und Mila sich prächtig, da sie ja Englisch studiert hat und mit dem Gedanken spielt Lehrerin zu werden. Tagsüber nimmt er uns mit in seinen Unterricht...    :-)



Ach,falls ich es noch nicht erwähnt habe, Mehmet ist Lehrer an einer reinen Mädchen-Schule... ;-) 


Einige von den Mädels können super singen und nachdem sie ihre türkischen und kurdischen Lieder vorgesungen haben, müssen auch wir etwas darbieten. Zuerst singt Mila etwas auf Russisch und mir fällt nichts Bessers ein (da Böhse Onkelz und Toten Hosen wohl eher unpassend sind und mein Talent überfordern) und ich gebe "Alle meine Entchen zum Besten" 


Echt genial...!!!  :-)

Leider geht es mir in den Nächten wieder echt schlecht und ich verbringe mehr Zeit auf dem "Container-Klo", als im Bett... :-/ und da Wochenende ist, beschließen Cingis und Mehmet, mich in die Notaufnahme des Krankenhauses zu bringen. Ich hege zu diesem Zeitpunkt keinen wirklichen Widerspruch, bis wir dort ankommen. Die anwesenden Ärzte diagnostizieren die viel zu große Anzahl an Patienten nicht wirklich und verteilen nur wahllos Spritzen und Infusionen. So auch bei mir und ich verbringe über zwei Stunden mit Personen rechts und links von mir, bei denen ich mir nicht wirklich sicher bin, ob diese alle die Nacht überdauern?? Da sowohl Mila, als auch unsere beiden neuen Freunde andauern bei mir bleiben, fühle ich mich zumindest nicht ganz verloren...

Sowohl Cingis, wie auch sein Freund Mehmet nehmen sich unendlich viel Zeit für uns und manchmal kommt es uns vor, als ob beide sich gar um uns streiten, da wir kaum eine freie Minute haben, an denen nicht einer von Beiden etwas mit uns unternehmen will, ob in die Schule oder uns zu sich nach Hause einlädt. So werden wir an einem Nachmittag auf eine kurdische Hochzeit mitgenommen und begrüßt und behandelt, als ob wir seit langer Zeit eingeladene und längst erwartete Gäste wären.


Es ist eine Feier in spärlichen Verhältnissen. Ein alter Lieferwagen dient als Unterstand und Bühne für die Musiker und draussen im Dreck zelebrieren die Hochzeitsgäste den „Dapka“. 


Einen traditionellen kurdischen Tanz, bei dem sich alle ganz allmählich vor- und rückwärts im Kreis bewegen! 


Wir warten bis Braut und Bräutigam erscheinen und nachdem auch wir sie beglückwünscht haben, bringt uns Mehmet zurück in unsere Container-Unterkunft...

Nach ganzen 7 Tagen in Van habe ich mich recht gut erholt und fühle die Sache endlich überstanden zu haben. Dies scheint wohl die "Magen-Darm-Geschichte" gewesen zu sein, die zu jeder guten langen Reise dazu gehört...!? Unsere beiden neuen Freunde bedauern unsere Abreise sehr und geben uns noch frische Dürum und die allerbesten Wünsche mit auf den Weg. 


Zudem müssen wir versprechen sie nicht zu vergessen und eines Tages wieder zu kommen! Da die kurdische Gastfreundschaft alles bisher von mir Gekannte übertrifft, wird uns dies nicht schwer fallen, wenn wir das nächste Mal in den Süd-Osten der Türkei kommen...

Die Temperaturen fallen täglich spürbar und es sind noch höchstens 10° tagsüber, was das Fahren nicht mehr wirklich angenehm macht, es sei denn die Sonne scheint einem direkt ins Gesicht. In 2 - 3 Wochen wird in Van der erste Schnee erwartet, also schauen wir, dass wir westwärts kommen. 

Da uns nicht wirklich nach Zelten zu Mute ist, versuchen wir CS'ler auf dem Weg zu finden. So kommt es, dass wir einen kleinen Schlenker über Batman machen und bei Gürcan, seine allerersten CouchSurfer sind... :-)


Auch er gibt sich allergrößte Mühe, dass wir uns wie zu Hause fühlen! Super klasse, obwohl er sehr wenig Englisch spricht und die Kommunikation fast nur mit google translator erfolgt... :-)

Wir bleiben 2 Nächte und er nimmt uns mit nach Hasankeyf. Eine sehr alte Siedlung, teils von Menschen bewohnte Höhlen im weichen Sandstein und erzählt uns,



dass wir gerade am "schnellen Fluß", dem Tigris stehen...



Er gibt sich große Mühe und lädt uns andauernd auf Tee ein und ich habe ein echt schlechtes Gewissen. Auch weil ich mich mittlerweile sehr vom Dauerreisen ausgelaugt fühle und nicht mehr für jeden Spaß so sehr zu haben bin, wie ich gerne würde...

Wir schlendern noch ein wenig durch die teils Jahrtausenden alten Ruinen


und verbringen eine weitere Nacht bei ihm


und fahren am kommenden Tag weiter bis nach Diyarbakir, die größte Stadt in kurdischem Gebiet


wo wir bei Mehmet für eine Nacht bleiben dürfen. Wir müssen aufpassen, dass wir die kurdische Gastfreundschaft nicht für selbstverständlich annehmen, denn so kommt es uns vor, als wir einmal mehr großzügigst beköstigt werden...


und anschließend eine Runde Karaoke zum Besten geben


An sich ist CS ja eine super Sache, da man echt die unterschiedlichsten Menschen kennen lernt. Nur wird es mir mittlerweile zu viel, da man ja jedes Mal mit den Leuten bis in die Nacht zusammen sitzt, erzählt und und und... 
Dies zehrt mittlerweile arg, da ich echt ausgepowert bin und mich doch soo gerne etwas länger ausruhen würde... :-/

Am nächsten Tag machen wir einiges an Kilometer. Fahren vorbei an Sanliurfa und Gaziantep und machen zwischendrin in Birecik, kanpp 15 km von der syrischen Grenze entfernt, Halt und stehen dort 


am "langsamen Fluss" dem Euphrat, der ja bekanntlich von hier aus weiter und später durch Bagdad fließt.


Hier merken wir auch, dass wir nun "Kurdistan" verlassen, da überall wieder Türkei-Flaggen wehen und das Straßenbild schmücken. Wir fahren weiter und am gleichen Tag noch schaffen wir es bis nach Osmanyie in die Ebene, wo es plötzlich gefühlt 20° wärmer ist und wir entschliessen in der Dunkelheit einen erneuten Zelt-Versuch zu wagen...


Es wird in keinster Weise wirklich kalt die Nacht durch und wir bleiben bis fast Mittag liegen, so dass wir an diesem Tag nur knapp 150 km fahren und in Mersin erneut die Mittelmeer-Küste erreichen. Zwischen Zitronen-Bäumen schlagen wir etwas versteckt unser Zelt auf...


bis am nächsten Morgen der Besitzer kommt. Uns jedoch wider erwartend willkommen heißt (ich bin wohl immer noch zu Deutsch?), uns Gesellschaft leistet und zum Abschied noch ein paar gute Wünsche mit auf den Weg gibt.  :-)

Da wir seit Van knapp 1.700 Höhenmeter runter gefahren sind, macht sich dies nun gut bemerkbar, in dem ich lange Unterhose und Innenfutter der Jacke beim Fahren weglassen kann und mir immer noch zu warm ist... 


Jipeee, das Mittelmeer hat uns wieder!!!

:-)



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